Brüssel. Wie können wir das Potenzial der Rohstoff- und Nahrungsmittelproduktion weltweit besser und nachhaltiger nutzen? Dieser Frage ging die Agrar- und Ernährungspolitikerin der CSU im Europäischen Parlament, Marlene Mortler, am gestrigen Montag nach. Im Digital Briefing „Nachhaltige Lebensmittelsysteme in Zeiten globaler Krisen“ hat die Europa-Abgeordnete zusammen mit Experten aus der Ernährungs- und Lebensmittelwirtschaft erörtert, wie Landwirte und die Akteure in der Nahrungsmittelproduktion geschützt werden können und gleichzeitig die Ernährungssicherheit weltweit gewährleistet werden kann. Nancy Aburto, stellvertretende Direktorin der Nutrition and Food Systems Division der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), hat die Veranstaltung moderiert.
„Wir brauchen so viele Hände wie möglich, um die Ernährungssicherheit weltweit zu gewährleisten. Bis 2050 müssen wir sichere und erschwingliche Nahrungsmittel für eine Weltbevölkerung von 10 Milliarden Menschen bereitstellen. Dafür müssen wir widerstandsfähige Ernährungssysteme fördern, die in der Lage sind, Krisen, Konflikte und extreme Wetterbedingungen zu bewältigen und unsere Natur und unsere Ressourcen dabei zu schützen“, mahnte Mortler in ihrem Eingangsplädoyer.
Von Corona zu einem nachhaltigeren und integrativeren Ernährungssystem
Alzira Ferreira, Director United Nations World Food Programme, stimmt dem zu: „Die COVID-19-Pandemie führt zu einer erheblichen Belastung der Ernährungssysteme, insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen und in fragilen Staaten, in denen die Ernährungssysteme bereits Mängel oder Störungen aufweisen. Das bedroht die Ernährungssicherheit und die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen. Aufbauend auf der Expertise im humanitären und entwicklungspolitischen Kontext sind wir bereit, mit der EU, ihren Mitgliedstaaten und anderen Partnern bei der Umsetzung von Maßnahmen zusammenzuarbeiten, die die Ernährungssysteme erhalten und schützen.“
Martin Hoppe, Leiter der Abteilung Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit, globale Nahrungsmittelpolitik und Fischerei des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), ist derselben Meinung: „COVID-19 muss unser Denken grundlegend verändern: Wir brauchen kürzere, widerstandsfähigere Lebensmittelversorgungsketten. Gleichzeitig haben wir eine Verantwortung in unseren globalen Wertschöpfungsketten. Eine der Prioritäten Deutschlands während der EU-Ratspräsidentschaft wird es sein, in dieser Hinsicht auf eine Gesetzgebung zu drängen.“
Leonard Mizzi, Head of Unit Rural Development, Food Security, Nutrition in der Vertretung der Europäischen Kommission, stimmt dem zu und ergänzt: „Wie es in der Strategie ‚Vom Hof auf den Teller‘ heißt, hat die COVID-19-Pandemie die Bedeutung eines robusten und widerstandsfähigen Ernährungssystems unterstrichen, das unter allen Umständen funktioniert. Sie hat uns auch die Wechselbeziehungen zwischen unserer Gesundheit, unseren Ökosystemen, Versorgungsketten, Verbrauchsmustern und den Grenzen des Planeten bewusst gemacht.“ Wir müssten uns demnach stärker auf integrative Wertschöpfungsketten und eine Neugewichtung der schwächsten Glieder in der Wertschöpfungskette konzentrieren. „Die EU drängt auch den europäischen Privatsektor und die Finanzinstitutionen, sich stärker in den nachhaltigen Transformationsprozess der Agrar- und Ernährungswirtschaft einzubringen. Sie wird den globalen Übergang zu nachhaltigen Agrar- und Lebensmittelsystemen unterstützen. Diese Agenda sollten wir alle bei der Vorbereitung des Welternährungsgipfels 2021 gründlich diskutieren.“
Jamie Morrison, strategischer Programmleiter bei der FAO, hält den kommenden UN-Ernährungsgipfel ebenfalls für den entscheidenden Moment zur Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung bis 2030. „Der Prozess auf dem Weg zum Gipfel wird es den verschiedenen Gemeinschaften ermöglichen, ehrgeizige koordinierte Aktionen und innovative Lösungen zu entwickeln, die für die Umgestaltung ihrer Ernährungssysteme in einer Weise erforderlich sind, die der Agenda für 2030 gerecht wird. Parlamentarische Allianzen können eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung dieses Prozesses spielen.“
Dr. Anika Reinbott, Advisor Sector Project „Agricultural Policy and Food Security“ bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), verfolgt einen systemischen Ansatz: „Der Schlüssel zur Umgestaltung unseres Ernährungssystems hin zu einem nachhaltigeren und integrativeren System liegt darin, einen systemischen Ansatz zu verfolgen und das Individuum in den Mittelpunkt zu stellen. Ein umgekehrtes Systemdenken - vom Teller bis zum Bauernhof - kann dazu beitragen, Veränderer für eine gesündere Ernährung in unseren Versorgungsketten, in der Lebensmittelumgebung und bei den Verbrauchern zu identifizieren.“
Hintergrund
Im Rahmen ihres "Green Deal" und insbesondere ihrer kürzlich veröffentlichten "Farm to Fork"- und Biodiversitätsstrategie befasst sich die EU-Kommission mit der Notwendigkeit, den Übergang zu einem fairen, gesunden und umweltfreundlichen Lebensmittelsystem zu beschleunigen, das auch gegen Schocks wie COVID-19 gewappnet ist.
Vor diesem Hintergrund und mit dem Ziel einer nachhaltigen und ganzheitlichen Transformation bieten die aktuellen politischen Debatten und die bevorstehenden politischen Foren sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene beträchtliche Möglichkeiten, nicht nur die globalen Ernährungssysteme zu analysieren und zu bewerten, sondern auch den Grundstein für eine nachhaltige globale Transformation des Ernährungssystems zu legen, die auf Widerstandsfähigkeit und einer Multi-Level- und Multi-Stakeholder-Governance beruht.