Unser Bundespräsident Joachim Gauck hat diese Woche die Erntekrone der deutschen Landwirtschaft in Berlin entgegengenommen und deutlich gemacht: Unsere Bäuerinnen und Bauern verdienen es, "dass eine breite Öffentlichkeit ihren Einsatz und die Bedeutung ihrer Arbeit für uns alle wahrnimmt". Das kann ich nur unterstützen! Auf diesem Weg noch einmal ein Lob und Dank an alle die, die auch in meiner Heimat zu gelungenen Erntedankfesten beigetragen haben.
Lesen Sie hier die Rede des Bundespräsidenten:
"So viel Symbolik heute! Ein ökumenischer Gottesdienst an historischer Stätte, Volkstänze zu moderner Musik – und nun diese kunstvolle Erntekrone, die ich mit ins Schloss Bellevue nehmen darf. Herzlichen Dank dafür!
Diese Krone steht für viele Themen, die uns – bei aller Verschiedenheit der täglichen Arbeit – miteinander verbinden. In erster Linie gehört dazu heute natürlich die Dankbarkeit – sie geht in mehrere Richtungen. Gemeinsam freuen wir uns über die glücklichen Fügungen, die gute und sehr gute Ernten in unserem Land ermöglicht haben. Und ich bin vor allem hergekommen, um Ihnen zu danken: jeder und jedem Einzelnen von Ihnen, für Ihren Fleiß, Ihre Ausdauer, Ihren Ideenreichtum. Von Ihrer Hingabe und Leistungsfähigkeit lebt die deutsche Landwirtschaft! Bitte nehmen Sie meine dankbaren Grüße mit in Ihre Heimatregionen!
Vielerorts wird in diesen Tagen Erntedankfest gefeiert. Und das auf mehrere Weisen: mit Lob und Dank in Gottesdiensten. Aber auch als Feier in den Dörfern und Regionen, dort wo die Bürgerinnen und Bürger mit der Landwirtschaft und auch von ihr leben. Das soll gern fröhlich und ausgelassen geschehen. Die Landfrauen, die Landwirte, auch die Landjugendgruppen haben sich das redlich verdient.
Und Sie haben verdient, dass eine breite Öffentlichkeit ihren Einsatz und die Bedeutung ihrer Arbeit für uns alle wahrnimmt. Ich glaube, das ist ein Wunsch, der uns heute ebenfalls verbindet. Neben dem Erntedankfest sollte es ein Erntedenkfest geben. Denn neben den Früchten auf einer schön gedeckten Tafel brauchen wir Früchte der Vernunft.
Das Nachdenken ist dringlich, viele Themen müssen noch reifen. Etwa die Antwort auf die Frage, wie wir in Deutschland knappe Flächen nutzen – für Ackerbau, Umweltschutz, Trassen- und Wohnungsbau beispielsweise. Viele Gemeinden in unserem Land diskutieren lebhaft darüber. Oder über die Frage, in welch hohem Ausmaß öffentliche Gelder in der europäischen Landwirtschaft eingesetzt werden und ob Landwirte in anderen Ländern der Welt dadurch benachteiligt sein könnten.
Außerdem bewegt viele Menschen in unserem Land die Frage: Wie können möglichst viele Menschen in unserem Land zu aufgeklärten Verbrauchern werden? Beispielhafte Projekte gibt es ja schon einige, etwa von den Landfrauen, die in Grundschulen das Wissen und Können für den „Ernährungsführerschein“ vermitteln. Oder beim Urlaub auf dem Bauernhof, wo manche Stadtkinder das erste Mal erleben, wie Heu riecht oder dass frisch gemolkene Milch ganz anders schmeckt als die aus dem Laden.
Für mich gehören solche Erfahrungen zu einer umfassenden Bildung dazu – nicht nur dort, wo es besonders ambitionierte Lehrer oder Eltern gibt. Jede Schülerin und jeder Schüler in Deutschland sollte wissen, wie viel Arbeit auf dem Land nötig ist, bevor Kartoffeln und Schnitzel auf dem Teller liegen; und dass unzählige Tonnen von diesen kostbaren Nahrungsmitteln in den Industrieländern täglich im Müll landen. Das ist verwerflich im traurigsten Sinne des Wortes. Deshalb müssen unsere Schülerinnen und Schüler auch ein Bewusstsein für den millionenfachen Hunger auf der Welt entwickeln.
Lebensmittel sind keine Selbstverständlichkeit. Sie bleiben eine wundervolle Gabe der Natur. Und dieses Wunders dürfen wir uns bewusst sein – auch wenn uns die Errungenschaften unserer modernen Landwirtschaft mit all den agrartechnischen Möglichkeiten manchmal verleiten, anders zu denken.
Wir kennen die alarmierenden Statistiken und Dokumentarfilme über Lebensmittelverschwendung. Wir kennen auch das Unbehagen, das dann in uns aufsteigt. Doch die Welt der Erwachsenen dreht sich nach kurzer Betroffenheit oft unverändert weiter. Kinder reagieren anders. Sie lassen sich noch auf eine Weise beeindrucken, die nachwirkt. Das gilt für den bewussten Umgang mit Lebensmitteln, den man mit wenig Aufwand täglich üben kann, ganz besonders: Was Hänschen lernt, legt Hans in den Einkaufskorb. Das ist eine Chance – wir können sie nutzen, und wir sollten sie nutzen!
Ein anderes Thema, das inzwischen breit debattiert wird, ist das Thema Bio-Sprit. Wie euphorisch waren wir anfangs beim Gedanken, mit Raps, Mais oder anderen Feldpflanzen unser Energieproblem bald lösen zu können! Immer öfter kommt nun aber die Sorge auf, dass gerade in ärmeren Ländern, in denen Grundnahrungsmittel häufig knapp sind, die wertvollen Anbauflächen nicht für Nahrungsmittel genutzt werden können. Wo kommen die Erzeugnisse in den Tank, wo auf den Teller? Die Folgen dieser Entscheidung können Menschenleben bedrohen, gerade wenn – wie in diesem Jahr – Dürren in großen Anbauregionen wie den USA ausbrechen. Es ist gut, dass sich die Kirchen auch außerhalb von Gottesdiensten dieser Probleme annehmen. In einer Woche wird zum Beispiel genau hier in der Friedrichstadtkirche eine Diskussion stattfinden, Titel: „Ist Essen bald Luxus?“ Anlass ist der Welternährungstag.
In solchen Debatten zeigt sich, ob unser Tun unseren ethischen Wertmaßstäbe und unserem Verantwortungsgefühl gerecht wird. Unser Umgang mit der Natur verrät viel über uns selbst. Darum werde ich auf das Symbol dieses Tages Acht geben. Die Erntekrone wird im Schloss Bellevue einen Ehrenplatz bekommen!"